Thomas (1995): The Labyrinth of the Word

Thomas, Alfred: „The Labyrinth of the Word. Truth and Representation in Czech Literature.“ München 1995. (Hier: „Truth and Transgression in Richard Weiner’s Netečný divák“, S. 105-115.)
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Im siebten Kapitel seines Buchs The Labyrinth of the Word. Truth and Representation in Czech Literature, Truth and Transgression in Richard Weiner’s Netečný divák untersucht Thomas Weiners frühe Kurzgeschichte in Hinblick auf sprachliche Besonderheiten und deren sinngebende Funktion.

Thomas‘ zentrale These ist, dass sich Sinn wie Ambiguität in sprachlichen Details offenbaren und in Konsequenz ein erweitertes Textverständnis durch detaillierte Betrachtung von den Zweideutigkeiten, periphrasis und preterition, möglich ist.

Trotz Richard Weiners Status als einer der wichtigsten tschechischen Autoren des zwanzigsten Jahrhunderts ist seine Arbeit aufgrund seiner „introverted, difficult and enigmatic nature“ (S. 105) starker Kritik unterzogen worden. Nicht nur sein Nachruf beinhaltet kritische Anmerkungen, auch neuere Kritik bestätigt Weiners „status as the difficult ‘outsider‘ of Czech letters“ (S. 105), und als schwierig wird auch sein Werk betrachtet. Thomas stellt heraus: „Weiner’s subtle fiction exposes – not the defunct status of language per se – but the fragmentation of a unified discourse subtended by a monistic, morally unambiguous truth” (S. 106). Thomas‘ Ziel ist es, die Interaktion zwischen Diskursen in der frühen Kurzgeschichte Netečný divák zu untersuchen. Methodisch geht er hierbei linguistisch vor, indem er periphrasis und preterition, die Zweideutigkeiten (double entendres), untersucht. Die Kritik an Weiners Schreiben, die Schwierigkeit seiner Arbeit, ist hierbei ein Aspekt, der die damit verbundene Ambiguität verdeutlicht. Diese Ambiguität ist der zentrale Punkt in der Kurzgeschichte.

Obwohl die Thematik des Geständnisses von Homosexualität und Selbstmord nicht originell war, ist Weiners Geschichte von sexual transgression ungewöhnlich innerhalb des moral framework der tschechischen Literatur. Seine Originalität liegt nicht in der Themenwahl, sondern in der sprachlichen Umsetzung. Den Zusammenhang von Moral und sprachlicher Besonderheit erklärt Thomas folgendermaßen:

From the outset there exists a sustained tension between a moral injunction to tell the ‘truth’ – in both men’s cases since each has his own confession to tell – and the antithetical impulse to obscure the moral truth through the linguistic expediencies of periphrasis and preterition which permit a secondary layer of meaning – with its own subjective truth – to become momentarily visible.

S. 108

Weiner bewegt sich mit seinem all-male setting und der damit verbundenen „exclusive ‘homosocial‘ world of gentlemen’s clubs“ (S. 108) in einem Bereich, der in der englischen Literaturwissenschaft kritisch betrachtet worden ist. In Bezug auf Sedgwick stellt Thomas heraus, dass das Verdecken der wahren Intentionen genutzt wird als Mittel zur Erklärung des „tone of ambiguous caution“ (S. 108). Als Indikator gilt Weiners Sprache, denn bereits im ersten Satz weisen Schlüsselwörter auf die Auflösung hin. Thomas erkennt Spannungssignale zwischen Ludvík und seinen Freunden, ausgedrückt durch einen „tone of defiance“ (S. 109), ebenso weisen oblique lexical pointers (S. 109) auf die „necessity of dissembling and assuming a double identity“ (S. 109) hin. In einer Bemerkung über Ludvíks „mysterious, elusive personality“ (S. 109) zeigt sich dann auch die Eigenheit des Erzählers, die in seiner enigmatic und complicated Persönlichkeit liegt, die wiederum auf ein geheimes anderes Leben verweisen. So weist auch das Wort krajan an einer anderen Stelle auf die Positionierung von Randfiguren hin, auf das Dasein außerhalb von sozialer und sexueller Konventionen, genauso wie die Beschreibung Montmartres als Peripherie. Weiner nutzt Entlehnungen (calques) und Lehnwörter (loan-words) zur Hervorhebung, zur Verdeutlichung ihrer Doppeldeutigkeit, die das Anderssein noch einmal unterstreichen. Anspielungen und Wortspiele machen nach Thomas Weiners Stil aus, um implizit zu verdeutlichen, worauf es ihm ankommt. So hat bereits der Titel Signalfunktion:

It becomes clear that the title – ‘indifferent observer’ – describes both men’s circumspect, defensive reaction to the world around them: indifference conventionally signals the homosexual’s heightened sensitivity and his inability to experience (heterosexual) love. Ludvík wished to know yet insists on the appearance of indifference just as he desires to tell and conceal the truth at the same time. Analogously, the language of the story resorts to the linguistic expediencies of periphrasis und preterition to reinforce the fascination of proscribed knowledge.

S. 111

Das Wort divák ist mit ambiguer Bedeutung versehen, indem es den Betrachter im theatralischen, aber auch im phänomenologischen Sinne meint. Die Geschichte handelt von counterfeiting und acting, davon, jemanden darzustellen, der man nicht ist, und so markiert auch die Sprache die Ambiguität von offenkundigen und versteckten Bedeutungen. Das französische Wort dégénéré als Schlüsselwort im heterosexuellen Diskurs zur Bezeichnung von sexuell devianten Menschen wird im Text von Karel zur Selbstbeschreibung genutzt, und bestätigt so stereotype Vorstellungen der Unfähigkeit Homosexueller, Liebe erfahren zu können. Karels Spannung von dem Imperativ moralischer Wahrheit und dem „transgressive desire to subvert that truth“ (S. 113) wird wieder signalisiert, mehr noch, bestimmt von periphrasis. Eine auf Homosexualität anspielende Dichotomie und oxymoronische Umkehrung des Titels findet sich später im Ausdruck náruživý divák, eine weitere sprachliche Besonderheit, um die Ambiguität im Text zu verdeutlichen. Ludvík, anfänglich selbst noch passiver Zuhörer, wird zum Schluss als Bekenner, als Beichtender gezeigt, er ist „victim of the double-game enacted by the language of the story: the truth of the self remains concealed within the oblique folds of preterition“ (S. 114).

In der Rezeption gelten Schöpfer wie Werk, Weiner und seine Fiktion, als Außenseiter, kompliziert, subtle, Thomas‘ Untersuchung hat herausgestellt, dass in Weiners früher Kurzgeschichte Bedeutung über Sprache konstituiert wird, über Mehrfachbedeutungen, die sich teilweise sogar gegenseitig zerrütten, und letztlich über das Zusammenspiel verschiedener Diskurse, die im Zusammenspiel und Konflikt stehen.


In seiner literaturwissenschaftlichen Analyse untersucht Thomas die frühe Kurzgeschichte Weiners. Dabei erweist sich seine Vorgehensweise als ergiebig, indem er sich sprachliche Besonderheiten ansieht.