Stern (2003): Wo steht der Autor? – dazwischen

Stern, Martin: „Wo steht der Autor? – dazwischen. Zur Figurenkonzeption in E.T.A. Hoffmanns Märchenroman Klein Zaches genannt Zinnober.“ In: Härter, Andreas/Kunz, Edith Anna/Weidmann, Heiner (Hgg.): „Dazwischen. Zum transitorischen Denken in Literatur- und Kulturwissenschaft. Festschrift für Johannes Anderegg zum 65. Geburtstag.“ Göttingen 2003, S. 69-78.
Ozean | Prosa & Papier

Zur Untersuchung der Figurenkonzeption im Klein Zaches und um gewisse Einsichten gewinnen zu können, kombiniert Stern Textanalyse und Autorpsychologie. Begründet wird das durch den Nachlass von E.T.A. Hoffmann, in dem sich viele Selbstkommentare in Briefen und Akten finden lassen.

Klein Zaches erscheint 1819 in Berlin nach schwerer längerer Krankheit und wird vom Autor selbst (1) „superwahnsinniges Buch“ (Brief vom 5. Februar 1819), (2) „das humoristischste“, was er je geschrieben hatte, und als (3) „lose, lockere Ausführung einer scherzhaften Idee“ (S. 69f.) bezeichnet.

(1) Aspekte des Wahnsinns zeigen sich in: (a) Im selben Jahr verfasst Hoffmann seine dem aufgeklärten Feudalstaat geltende Satire und wird Mitglied der ‚Immediatkommission zur Ermittelung hochverräterischer Verbindungen und anderer gefährlicher Umtriebe‘. (b) Daneben führt er das „zur wahren Kunst der Zukunft verklärte Dichtermärchen ad absurdum“ mittels „Ernüchterung, Widerruf und Spott“ sowie „Banalität“ (S. 70). (c) Zuletzt kann Klein Zaches als Selbstsatire gelesen werden, in der Hoffmann nicht nur eins seiner früheren Theoremen banalisiert, sondern auch sein eigenes gestörtes Selbstbild in die Figuren fließen lässt.

(2) Humoristisch sind im Klein Zaches der Umgang mit Anspielungen und Zitaten als gleichsam Patchwork sowie Kontrafakturen seiner eigenen Werke.

(3) Die scherzhafte Idee zeigt sich unter anderem im Spiel mit inkongruenten Textsorten, könnte aber auch zu sehen sein, in einer „prophetische[n] Allegorie der Macht des sich fremde (Arbeits-)Leistungen aneignenden Kapitals“ (S. 74), wie Marx vermutet. Im Klein Zaches haben die Fee Rosabelverde, der Zauberer Prosper Alpanus, Balthasar und Mosch Terpin gleich viel Textanteil wie die Titelfigur, sie „alle sind ironisch gezeichnet […], niemand hat eindeutig die Sympathie des Autors“ (S. 74). Indem Stern den Autor Hoffmann im Dazwischen verortet, plädiert er für die bewusste oder unbewusste Interpretation der Idee als Spaltung des Autor-Ichs, seiner Ich-Anteile, Ich-Wünsche und Ich-Nöte in verschiedener Weise in die Figuren hinein. Insofern würde Hoffmann, so Sterns Hypothese, zu den Ersten gehören, die Ichspaltung und -verlust literarisch thematisieren. Stern fasst seine Ergebnisse zusammen: „Hoffmann ist seinen Figuren in Klein Zaches zugleich fremd und nah. Er befindet sich im Dazwischen. Es sind eigene Ich-Anteile, die sich darin streiten und – vor allem – über einander lustig machen.“ (S. 76)


Die Untersuchung Sterns arbeitet mit der Kombination von Autorpsychologie und Textanalyse. Dabei stellt Stern interessante Fakten heraus, seine Interpretation lädt allerdings dazu ein, sich in Bezug zur Theorie des Dazwischen einer vergleichenden Arbeit zu widmen.